Herr Eastes, ChatGPT wurde vor knapp zwei Jahren der Öffentlichkeit vorgestellt. Seither ist im Bereich der Künstlichen Intelligenz viel passiert. Wie haben Sie die Entwicklungen wahrgenommen?
Als ich Ende 2022 selbst die ersten Tests gemacht habe, dachte ich gleich: Wow, das verändert wirklich vieles. Es war mir sofort klar, dass es sich nicht um einen modischen Gag handelt, der dann wieder verschwindet. Als Anfang Januar 2023 die Kollegen nach den Feiertagen zurück an der Hochschule waren, haben wir uns gleich zusammengetan und die Neuerung diskutiert. Zuerst war das Erstaunen natürlich gross. Es gab aber auch stimmen, die darauf hinwiesen, dass vieles noch nicht ganz funktionieren würde und die Technologie halluziniert. Für mich war aber schon damals klar, dass es sich sehr rasch weiter verbessern würde. Was wir heute sehen, ist zum Teil sehr erstaunlich und hat meine Erwartungen teilweise gar übertroffen. Andererseits bin ich aber auch überrascht, dass es immer noch viele Menschen gibt, welche die Tools nicht getestet haben und von der Entwicklung abgeschnitten sind. Ich frage mich dann, in welcher Welt leben diese Personen ohne sich dabei näher für eine der grössten technologischen Entwicklungen der Geschichte zu interessieren.
Der diesjährige Nobelpreisträger für Physik Geoffrey Hinton, einer der geistigen Väter im Bereich der Künstliche Intelligenz, hat sich kürzlich kritisch gegenüber den Entwicklungen geäussert. Wie sehen Sie dies?
Mich überrascht aktuell, dass man die Tragweite der neuen Technologien in vielen verborgenen Anwendungsbereichen zu wenig erkennt. Ich denke da etwa an Bereiche wie Finanzen, Empfehlungs-Algorithmen oder auch die Demokratie. Zu Beginn ging man davon aus, dass die KI-Firmen sehr verantwortungsvoll mit den neuen Technologien umgehen werden. Jetzt sieht man, dass es sich doch ziemlich zügellos entwickelt.
Wie schätzen Sie die die Chancen und Gefahren künftiger Entwicklungen ein?
Ich stelle mir manchmal vor, wie ich aus ganz weiter Ferne quasi als Ausserirdischer auf die Erde blicken würde. Ich wäre wohl überrascht zu sehen, dass da eine Spezies im All existiert, die ganz viele Tools entwickelt hat, jedoch allmählich in vollem Bewusstsein ihre Lebensgrundlagen zerstört. Dabei denke ich nicht nur ans Klima, sondern auch an Aspekte wie Ressourcen oder die Biodiversität. Die KI beschleunigt diese Abbau-Prozesse. Zudem hat sie zusätzliche indirekte Effekte auf die Gesellschaft. Zum Beispiel auf die Art, wie wir Kriege führen oder wie wir die Demokratie leben. Diese langfristigen Auswirkungen muss man unterscheiden von den kurzfristigen Effekten, welche die Technologie für ein Individuum hat. Ich gehöre zu jenen Menschen, die von der KI profitieren. Ich gewinne zum Beispiel Zeit, bin produktiver. Wie ich werden viele andere Individuen gewinnen, auch Unternehmen oder gar Staaten werden sich auf der Gewinnerseite platzieren können. Daneben gibt es aber auch viele Menschen, die von solchen Entwicklungen ausgeschlossen sind. Die KI wird daher in vielen Bereichen die bereits bestehenden Gräben vergrössern. Persönlich bin ich der Ansicht: Für mich individuell stellt die KI etwas Ausserordentliches dar. Als Weltbürger sehe ich sie aber als sehr schlechte Nachricht für die Menschheit an.
Mit Blick auf die Ausbildung unserer Kinder: Wo sehen Sie Veränderungen von der Primarschule bis zur Oberstufe?
Ich bin da grundsätzlich sehr offen. Meine Kinder hatten beispielsweise schon im Alter von zwei Jahren erste Erfahrungen mit Computern. Man muss sich bewusst sein, dass unsere Kinder in einer Welt aufwachsen werden, die von künstlicher Intelligenz geprägt sein wird. Man muss ihnen daher sehr früh die Möglichkeit geben, damit in Kontakt zu kommen. Natürlich kann man sich auch auf den Standpunkt stellen: dieses Feuer ist gefährlich, man sollte daher alle Kerzen aus dem Schulzimmer entfernen. Dies ist aber aus meiner Sicht nicht sehr schlau. Denn wenn man die Kinder nicht schon früh an die neuen Technologien heranführt, werden einige gar nicht mehr lernen damit umzugehen und die Risiken zu beherrschen wissen, die sie mit sich bringt. Es geht in frühen Jahren primär um eine Sensibilisierung und darum, eine Kultur der KI zu vermitteln, damit sie sich einer KI-Welt zurechtfinden. Auch wenn die KI-Tools in den unteren Schulstufen noch nicht in die Lernprozesse integriert sein müssen, so sollten sie meiner Ansicht nach mit steigenden Schulniveau verstärkt berücksichtigt werden.
Welche für Auswirkungen hat die KI auf die Berufsbildung? Was sollten Ausbildnerinnen und Ausbildner beachten?
Auch bei der beruflichen Grundbildung gilt es sich zu fragen, in welcher Welt die Lernenden künftig unterwegs sein werden. Dies nur schon im Sinne einer Allgemeinkultur. Auf einer nächsten Stufe geht es dann darum herauszuschälen, in welche Richtung sich die KI im eigenen Berufsfeld entwickeln wird. Dies kann durchaus mit Auswirkungen auf die Lernziele verbunden sein. Nach Lehrabschluss wird ein Lernender künftig entweder eine Fachkraft sein, die über eine hohe Handlungskompetenz verfügt und dank KI gewisse Aufgaben noch besser ausüben kann. Oder er wird irgendwann durch reine KI-Anwender ersetzt werden, da diese billiger sind. Der Wert einer Fachkraft setzt sich also aus seinem Verständnis für die Materie in Kombination mit KI-Anwendungen zusammen. Schliesslich wird die KI aber auch die Arbeitsweise der Ausbildner direkt beeinflussen. Sie kann für die Erstellung von Lerninhalten, Prüfungen und Arbeitshilfen eine wichtige unterstützende Rolle einnehmen.
Zur Person:
Richard-Emmanuel Eastes ist
diplomierter Chemiker sowie Doktor der Philosophie und Erziehungswissenschaften.
Er ist Mitglied der Taskforce «KI und Bildung» der Fachhochschule Westschweiz.
Wie kann sich die Künstliche Intelligenz auf Ihre Arbeit auswirken?
Der Journée Swissmem und der Berufsbildungstag (Deutschschweiz) vermitteln Fachwissen und Inspiration zu diesem Zukunftsthema.
Journée Swissmem 2025
Datum: Freitag, 24. Januar 2025
Thema: «Intelligence artificielle et Apprentissage : un mariage pour le futur ?»
Ort: Théâtre du Passage in Neuenburg
Berufsbildungstag 2025
Datum: Freitag, 23. Mai 2025
Thema: KI: Kann ich? - Kann ich! Wie setze ich KI wertschöpfend in der Berufsbildung ein?
Ort: OLMA Messen, St.Gallen
Das detaillierte Programm folgt.