Gesellschaftliche Strukturen sind nicht in Stein gemeisselt. Wie stark sie sich zuweilen verändern können, zeigte Philippe Cordonier, Moderator des Journée Swissmem, gleich zu Beginn der Veranstaltung im Musée Olympique in Lausanne. Lag der Frauenanteil bei Olympischen Spielen im Jahr 1900 bei 2 Prozent, wird er bei den Spielen 2020 in Tokyo bei 48,8 Prozent liegen.
Viele teilnehmende Frauen
Auch bei den Besuchern des Journée Swissmem zeigte sich eine erfreuliche Veränderung. Unter den rund 200 Besuchern waren rund 30 Prozent Frauen, was bedeutend mehr als in den Vorjahren oder im Branchendurchschnitt war. Dennoch: der Ausgleich zwischen den Geschlechtern ist kein natürlicher Prozess. Er muss gesellschaftlich gewollt und angestrebt werden.
In ihrem Eingangsreferat wies Regierungsrätin Cesla Amarelle, Vorsteherin des Departements für Bildung, Jugend und Kultur, darauf hin, dass die Berufe nach wie vor ein Geschlecht hätten. Der Kanton engagiere sich stark für die Berufsbildung und einen Ausgleich in den verschiedenen Berufszweigen, so Amarelle. Trotz allgemein positiven Entwicklungen musste jedoch in einigen Bereichen in jüngster Vergangenheit ein rückläufiger Frauenanteil verzeichnet werden.
Hin zu einer wahren Gleichberechtigung
Aus wissenschaftlicher Sicht ging Nicky Le Feuvre, Soziologieprofessorin an der Universität Lausanne, der Fragestellung des Tages auf den Grund. Sie könne nicht den einen Lösungsweg aufzeigen, erklärte Le Feuvre gleich zu Beginn ihres Referats. Wolle aber helfen, den Blick auf das Thema zu erweitern und neue Perspektiven einzunehmen.
Raus aus Stereotypen
«Wir sind historisch gesehen vielleicht zum ersten Mal an einem Punkt angelangt, an welchem wir wahre Gleichstellung realisieren können», erklärte Le Feuvre. In ihren Ausführungen warf sie einen kritischen Blick auf Modelle, welche Frau und Mann grundsätzlich andere Eigenschaften zuweisen. Einige Massnahmen könnten sich gar als kontraproduktiv erweisen, so Le Feuvre.
«Frauen möchten nicht rekrutiert werden, weil sie Frauen sind, sondern weil sie die nötigen Kompetenzen für den Beruf mitbringen.» Wenn man sich auf spezifische Geschlechtereigenschaften - positive wie negative - ausrichtet, so würde man nur klassische Schemen zementieren. Frauen würden dadurch stigmatisiert werden, was kontraproduktiv sei.
Hin zu austauschbaren Rollen
Frauen hätten grundsätzlich kein geringeres Interesse an Technik, wie zum Beispiel die Entwicklung in der Medizin zeigt, die ja sehr technisch sei. Andererseits würden auch Männer über Eigenschaften verfügen, die klassisch Frauen zugeordnet werden (Zuhören, Empathie, etc.).
Um zu einer wahren Durchmischung zu gelangen, müssten Männer und Frauen austauschbar sein, die Gleichbehandlung und Gleichstellung zu einer Selbstverständlichkeit werden. Dies bedingt, dass die Berufskultur teilweise verändert werden muss. Wenn man mehr Frauen anziehen wolle, so müsse man sich zuerst auch darauf verstehen, sie zu halten. Die Unternehmen müssten bestehende Hürden abbauen und eine natürliche Durchmischung erreichen.
Die theoretischen Muster konnten in der nachfolgenden Podiumsdiskussion verschiedentlich durch konkrete Erfahrungen im Arbeitsalltag bestätigt werden. Léonie Perriard, die ihre Lehre einst bei Bobst absolviert hatte und nun als Monteurin tätig ist, schilderte das Beispiel von Kunden, die überrascht seien, eine Frau in ihrer Funktion anzutreffen. Die Reaktionen gingen in verschiedene Richtungen. So käme es vor, dass man ihre Kompetenz in Frage stellen würde oder aber ihr mehr helfen wolle als den männlichen Kollegen.
Hélène Parkinson-Garcin ergänzte, dass man gewisse Bemerkungen nicht 1:1 nehmen müsse. Gewisse Vorbehalte seien durchaus noch vorhanden. Man müsse daher lernen, zusammen zu arbeiten. Fanny Brault, HR-Verantwortliche bei GF Machining Solutions, sprach sich dafür aus, den persönlichen Umgang zu verbessern und das Thema nicht über Quoten regeln zu wollen. Grossen Wert legte sie auf die persönliche Weiterentwicklung der Frauen innerhalb des Unternehmens.
Noch nicht alle Hürden beseitigt
Einig war sich das Podium darin, dass man gewisse Vorurteile aufbrechen müsse und auch die Eltern hinzulernen müssten. Junge Frauen dürften nicht von einer technischen Berufswahl abgehalten werden. Wenn sie Interesse daran hätten, müsste man sie vielmehr unterstützen und motivieren. Flexible Arbeitsmodelle würden sicherlich helfen, mehr Frauen - und Jugendliche im Allgemeinen - für die Industrie zu gewinnen. Durch eine Informationsoffensive gegenüber Eltern, Lehrern, Berufsberatern müsse man die positive Entwicklung in den Berufen aktiv vermitteln. Die bestehenden Geschlechter-Muster müssten aufgehoben werden, so die Meinung aus der Praxis.
In seinem Überblick zu aktuellen Themen aus der Swissmem-Verbandswelt ging Olivier Habegger, Verantwortlich für die Berufsbildung in der Westschweiz, auch auf den Frauenanteil in der beruflichen Grundbildung ein. Dieser liegt über alle Berufe gesehen aktuell gerade mal bei 14 Prozent.
Eines der Ziele der frisch gestarteten Berufsreform, die im Jahr 2023 abgeschlossen werden soll, ist eine langfristige Verdoppelung des Frauenanteils in den technischen Berufen ( Weitere Informationen dazu auf www.futuremem.swiss ). Nach einem Rückblick auf die erfolgreichen WorldSkills Kazan 2019 und einem Ausblick auf die SwissSkills 2020 wandte sich Olivier Habegger an Jean-Claude Kottelat, Projektleiter Journée Swissmem, und Arthur Glättli, Leiter Swissmem Berufsbildung. Für sie beide steht in diesem Jahr die Pensionierung bevor. Während es für Glättli der letzte Journée Swissmem in seiner aktuellen Funktion war, wir Kottelat die Projektleitung auch für die nächste Durchführung übernehmen.
Grosses Engagement für die Berufsbildung in der Westschweiz
Arthur Glättli hatte im Jahr 2007 die Geschäftsleitung der Berufsbildung übernommen. Er baute darauf die Präsenz und die Dienstleistungen von Swissmem im Bereich der Berufsbildung in der Romandie stark aus. Dazu gehörte ein dynamischeres Konzept für den Journée Swissmem, zu dem eine Art Tour der Romandie für diesen Anlass gehörte. Jean-Claude Kottelat setzte als neuer Projektleiter das neue Konzept erfolgreich um. Olivier Habegger stiess in der Folge als francophone Person zu Swissmem Berufsbildung und baute das Netzwerk aus, Philippe Cordonier verstärkte die Romandie ab dem Jahr 2013 zusätzlich. Nicht ohne Wehmut und mit Freude über das Erreichte bedankte sich Arthur Glättli für die gute Zusammenarbeit und den vielfältigen Austausch der vergangenen Jahre.
Frau Dr. Sonja Studer, Leiterin Bildung, würdigte die grossen Verdienste von Arthur Glättli für die Berufsbildung der MEM-Branche nicht nur in der Romandie, sondern auch für die ganze Schweiz. Sie bedankte sich auch für seinen Einsatz im Rahmen der laufenden Berufsreform FUTUREMEM und wünschte ihm für seinen Ruhestand ab Juli diesen Jahres weiterhin Lebensfreude und Erfüllung.
Animierte Workshops
Interaktiv ging es danach bei drei Workshops zu. Sie behandelten die folgenden drei Themen:
A. Rahmenbedingungen für Frauen in Unternehmen
B. Gleichbehandlung und Gleichstellung von Frauen und Männern
C. Durchmischung. Modeerscheinung oder Gewinn fürs Unternehmen?
Raum für Träume — Die Basejumperin
Die Extrem-Sportlerin Géraldine Fasnacht zeigte in ihrem eindrücklichen Vortrag, dass Mut und Abenteuerlust durchaus nicht nur männliche Eigenschaften sind. Mit ihrem Wingsuit hat sie sich bereits von den eindrücklichsten Berggipfeln in die Tiefe gestürzt, so zum Beispiel vom Matterhorn oder vom Holtanna in der Antarktis. «Dream Big» – Träume gross – rät sie denn auch den Anwesenden. Denn festgefahrene Muster – auch was die Verteilung der Geschlechter in den Berufen betrifft – können mit visionärem Denken und Willen durchbrochen werden.
Ausblick
Der nächste Journée Swissmem findet am 29. Januar 2021 im Berner Jura statt. Das detaillierte Programm wird im Herbst 2020 kommuniziert.
Impressionen
Veranstaltungen und Bildungsangebote
Details Journée Swissmem 2025 Details Berufsbildungstag 2025